Montag, 16. Juni 2014

Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen: Todesangst und Befreiung


In Deutschland herrscht seit 1945 Frieden. Doch der Krieg geht in vielen Seelen weiter (und auch Firmen, Familien, Altersheimen...) Jetzt wo viele Betroffene im Ruhestand sind, fehlen Arbeit und Ablenkung. Die Erinnerungen kommen wieder hoch.

Das Buch "Die vergessene Generation: Kriegskinder brechen ihr Schweigen" hat mich sehr berüht. Ich habe auch meine Eltern (Jahrgänge 44 und 35) darin wiedergefunden. Sie haben auch Flucht, Bombennächte, Hunger, Verzweiflung und Tod der eigenen Eltern, Gewaltexzesse, "Jeder ist sich selbst der Nächste"-Exzesse und "Über Leichen Gehen"... erlebt.

Sabine Bode schreibt, wie solche traumatisierte Kinderseelen sich erholen oder krank und bedrückt bleiben. Je älter und je geliebter das Kind sich fühlt, desto besser die Chancen.

Die drei Erholungskriterien nach Bode:
  1. körperliche Gesundheit
  2. "sie hatten bevor die Katastrophe über sie hereinbrach, noch einige unbeschwerte Kinderjahre ansammeln können"
  3. "liebevolle Eltern". (S. 121)
Jemand, der in den letzten Kriegsjahren geboren wurde, mag sich vielleicht gar nicht an die verzweifelte einsame Mutter, die Bombennächte, Hunger... erinnern. Doch die vergessene durchlittene Todesangst des Säuglings hat sich wahrscheinlich tief in die Seele gefressen und manipuliert im Verborgenen - so wie ein Trojaner einen Computer.

Verletzte Menschen verletzen. Viele Menschen, die als gefühlskalt durchgehen, sind selbst Opfer von Gewalt gewesen. Als Traumatisierte haben sie das Gefühl des Ausgeliefertsein und der völligen Hilflosigkeit in sich völlig verdrängt und zugeschüttet (die Erinnerung ist einfach zu schmerzhaft). Sie sind von den eigenen Gefühlen abgeschnitten.Wer sein eigenes Leid jedoch nicht wahrnehmen kann, der kann erst recht fremdes Leiden nicht wahrnehmen und vergeht sich möglicherweise auch anderen (S.275): "Ich konnte meine Kinder nicht lieben." Sie sei wie "betäubt" gewesen, erzählt eine Betroffene.

Bedingungen, unter denen sich Traumatisierte wieder erholen (so Bode):
  1. Opfer erfährt den Trost der Gemeinschaft (Familie, ganze Verwandtschaft, Stadt)
  2. "Menschen wird vor Zeugen gesagt: Ja, dir ist Unrecht widerfahren. Ja, es gibt allen Grund, dass du zurzeit mit deinem Leben nicht zurechtkommst. Es ist normal, dass du jetzt verwirrt oder unendlich traurig bist. Es ist gut, zu weinen und sich anderen Menschen anzuvertrauen." (S. 269)
Das Letzte, was Betroffene gebrauchen können, sind gut gemeinte Ratschläge. Das Teilen von Gefühlen befreit davon.

Lacht mit den Lachenden, weint mit den Weinenden, sagt die Bibel. Und auch Jesus weinte mit den Hinterbliebenen des Lazarus, obwohl er gerade diesen Lazarus kurze Zeit später wieder ins Leben rief und auferstehen ließ. Er hätte doch auch sagen können: "Relax. Es gibt nichts zu flennen. Wartet einen Moment!"

Nein, Jesus weinte mit den Weinenden.

Das ist wahre Liebe.

Bin ich da? 

Wer sich selbst liebt, kann auch seinen Nächsten lieben.


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